Bis in die Mitte des letzten Jahrhunderts hiessen die Mehrzahl der Boswiler Familien

Keusch, Notter, Müller, Huber, Berger, Hildbrand, Werder, Hilfiker, Mäder

Es bestanden zwar viele Flurnamen aber die meisten Strassen und Wege hatte noch keine Bezeichnung und die Versicherungsnummern der Gebäude waren so zusammengewürfelt dass sie nicht zur Identifikation der Bewohner benutzt werden konnten.

Auch die Liste der geläufigen Vornamen war nicht sehr umfangreich.

Um die verschieden Keusch, Notter ect. zu unterscheiden wurde diesen Zunamen beigegeben.

In der zweiten Hälfte des zwanzigsten Jahrhunderts durchmischte sich die Bevölkerung durch vermehrte Zu- und Wegzüge besser. Auch wurde vermehrt über Dorf- und Kantonsgrenzen hinaus geheiratet. Auch die Einführung von Strassennamen und der fortlaufenden Hausnummerierung führen dazu, dass das Ende der Tradition von Zunamen absehbar ist.

Mit dieser Arbeit möchte ich erreichen, dass die Tradition nicht ganz in Vergessenheit gerät.

Die Zunamen können in vier Kategorien eingeteilt werden:

    nach Wohnort (Flurnamen)

    nach Beruf

    nach dem Vorname eines Vorfahren

    verschiedenem Ursprung

Die Zunamen hatten früher eine viel größere Bedeutung, da in früheren Jahren fast nur einheimische Geschlechter vorkamen, so war man gezwungen, verschiedene gleichnamige Bürger durch Zu- oder Übernamen zu kennzeichnen. Heute haben wir Straßen und Hausnummern, und die Durchmischung mit fremden Familiennamen nimmt zu, so dass viele alte Übernamen verschwinden werden, die einen waren nicht immer zur Freude der Betroffenen ausgefallen.

Es entstehen aber immer wieder neue die aber nie mehr diese Bedeutung haben werden, diese neuen Übernamen sind eher Juxnamen und verschwinden so schnell wie sie gekommen sind.
Damit nicht all diese zum Teil interessanten Zu- und Übernamen ganz verloren gehen haben wir viele von ihnen aufgeschrieben, alle konnten wir nicht mehr erfassen, aber doch die meisten die im letzten Jahrhundert noch gebräuchlich waren.

Das nachfolgende Verzeichnis beinhaltet Namen, mit welchen einzelne oder mehrere Familien, aber auch Einzelpersonen aus Boswil, in der Umgangssprache näher bezeichnet werden. Es kann sein, dass einzelne Rufnamen für die betreffenden Familien beleidigend wirken. Diese Liste will allerdings keinesfalls verunglimpfen. Sie soll lediglich als Verzeichnis für die Nachwelt dienen.

Nebst der staatlich-offiziellen Namensgebung, die auf Vor- und Nachnamen basiert, existiert in der ländlichen Zentralschweiz ein zweites, traditionelles Namenssystem, das die Alteingesessenen – und unter ihnen vor allem die vor 1960 Geborenen – bis heute verwenden. Es beruht auf Übernamen, die einzelnen Personen, Familien oder Sippschaften verliehen werden. Dahinter steht ein praktischer Grund: Die offizielle Namensgebung ist in vielen Dörfern und Streusiedlungen, in denen weitverzweigte Verwandtschaftsnetze dieselben Nachnamen tragen und die traditionellen Vornamen sich auf wenige Heiligennamen beschränken, kein taugliches Unterscheidungsmerkmal. Als Aufhänger für die Übernamen dienen Flurbezeichnungen, auffällige Betätigungen oder soziale und körperliche Merkmale. Einige dieser Benennungen tragen eine mehr oder weniger offensichtliche Stigmatisierung in sich und werden in Gegenwart der bezeichneten Person nicht verwendet. Andere sind ein unbelasteter, alltäglicher Bestandteil der persönlichen Identität. In bäuerlichen Kreisen treten an Flurnamen gekoppelte Übernamen besonders häufig auf. Dabei werden manchmal ergänzend und präzisierend ganze Ahnenreihen mitaufgezählt.

 

 

Boswil deine Namen

Zu- und Übernamen in Boswil

Ein kleines Inventar an Formen der Zuordnung, die von einem System lebendiger Beziehungen unter Menschen in einer entschwindenden Zeit zeugen.

Boswil ist im Bezirk Muri nach Sins und Muri flächenmässig die drittgrösste Gemeinde; bloss Beinwil und Merenschwand umfassen ebenfalls mehr als elf Quadratkilometer, alle andern liegen wesentlich darunter. Boswil beherbergte bereits 1850 nach Muri und Sins am drittmeisten Seelen (1249 Einwohner); nur Merenschwand kam auf eine annähernd gleich hohe Zahl. Auch im Bezirk Bremgarten gab es zu dieser Zeit nur fünf ähnlich be- völkerungsreiche Gemeinden. Bremgarten hatte beispielsweise bloss 1307 Einwohner, wesentlich darüber lagen nur Wohlen, Villmergen und Hägglingen). 1941 zählte Boswil 1415 Einwohner; von 43 Gemeinden der beiden Freiämter Bezirke waren nur deren sechs bevölkerungsreicher.

 

Unter Boswil führte im Jahr 1991 das Telefonverzeichnis 58 Eintragungen unter dem Namen Keusch. Zum Vergleich: Frey, der häufigste Familienname in der bevölkerungsmässig mehr als doppelt so grossen Nachbargemeinde Muri, kommt im nämlichen Verzeichnis bloss 48mal vor. Unter Boswil findet man des weitern 41mal Notter, 31mal Müller, 27mal Huber, je 20mal Berger ebenfalls Stöckli, für die jedoch praktisch keine Zunamen bekannt sind, ausser Bezeichnungen wie d Steerne-Liine, de Böi oder s‘Oberemüllers, je 13mal Hildbrand und Werder, je 11mal Hilfiker und Mäder.

 

Ein grosser Bann, grosse Sippschaften aus dem gleichen Stamm, verschiedenen Herren dienend, mögen in solchen Umständen die Gründe dafür zu suchen sein, dass man sich in Boswil, teils bis auf den heutigen Tag und in weit grösserem Ausmass als anderswo in unseren Gegenden, eher nach dem Zu- als nach dem Familiennamen kennt. Dass selbst Zunamen mit Übernamen Charakter in diesem Dorf noch heute kaum je etwas Beleidigendes an sich haben, sondern vielmehr der zweifelsfreien Identi- fizierung dienen. Jedenfalls kann man im Gespräch mit langjährigen Ortsansässigen noch heute erleben, dass sich zum Teil Zu- und Übernamen mit stets derselben Absicht verwischen: Es will jemand dem Gegenüber genau mitteilen, wer nun wirklich gemeint sei.

 

Hier eine Liste der noch bekannten Zunamen:

 

Keusch hiessen und heissen in Boswil

– s‘Adolfe

– s‘Badischte

– s‘Banggrazze

– s‘Becke

– s‘Beckhanse

– s‘Beernete

– s‘Chabeljokebbe

– s‘Chabelhanse

– s‘Chabelseepis

– s‘Chilchmeiers

– s‘Donate

– s‘Franzenalbärte

– s‘Franzewagners

– s‘Humbels

– s‘Hümbelis

– s‘Humbelwysels

– s‘Jochume

– s‘Komidante

– s‘Längis

– s‘Löie (Hildi, Seppi)

– s‘Luuxe

– s‘Reeggels

Notter hiessen und heissen in Boswil

– s‘Albine

– s‘Altenammes

Aber: s‘Altammenalbärte (Huber) s‘Gmeindammes (End) s‘Chabiammes (Ammann)

– s‘Bänes

– s‘Bänehanse

– s‘Bänenottis

– s‘Chabiwysels

– s‘Gmeindschriibers

– s‘Grazziroote

– s‘Grüene Bänes

– s‘Grüene Gottliebe

– s‘Grüene Hanse

– s‘Grüene Seppis

– s‘Grüene Vikters

– s‘HäIme

– s‘Heinibänehanse

– s‘Heinilonzis

– s‘Jöselhanse

– s‘Lonzis

– s‘Nüggelers

– s‘Ottooe

– s‘Röcklispatze

– s‘Roote Leoe

– s‘Roote Robärte

– s‘Thedoore

– s‘Sattlers

– s‘Schange

Müller hiessen und heissen in Boswil

– s‘Chalte

– s‘Deckers

– s‘Grööflis

– s‘GrööfIifranze

– s‘Romane

– s‘Wiihändlers

Huber hiessen und heissen in Boswil

– s‘Altammenalbärte

– s‘Briefträgers (de Briefer)

– s‘Buechbinders

– s‘Giigelimaartis

– s‘Kuenraade

– s‘Määlhändlers

– s‘Mülimachers

– s Müllerlonzis

– s‘Vikterligrazze

Berger hiessen und heissen in Boswil

– s‘Balze

– s Bänechliis

– s‘Grottesigerschte

– s‘Hottebeeters

– s‘Hotterseppels

– s‘SpängeIers

– s‘Saagers

– s‘Saagerlonzis

– s‘Schuenegelers

Hildbrand hiessen und heissen in Boswil

– s‘Auguschtiine

– s‘Chäschberlis

– s‘Gländers

– s‘Gländerlis (bzw, de Gländerli)

– s‘Gländerschmede

– s‘Heireche

– s‘Meiröödlis

– s‘Rächemachers

– s‘Schmukkelis

Werder hiessen und heissen in Boswil

– s‘Ättijokebbe

– s‘Grossruubels

– s‘RuubeIs

– s‘Ruubelwagners

– s‘Zieglers

Hilfiker hiessen und heissen in Boswil

– s‘Breite

– s‘Breitelonzis

– s‘Joggelis

– s Orgelischte (auch Heginähers)

– s Sattleruelis

Aber: s‘Sattlers, s‘Uelis (beide nicht Hilfiker)

Mäder hiessen und heissen in Boswil

– s‘Poschthalters

– s‘Schööfers

– s‘Seilermuusers

Zunamen kennt ‚man in Boswil zudem auch für vereinzelte Familen, wie s‘Challerejokebbe (Abt), s‘Chappelers (Ammann), s‘Boumeischters (End), s‘Raimunde (Keller), s‘Stroossechnächts (Meier), s‘Schliifferlis bzw. s‘Schliifferjokebbe (End) oder s‘Schliifers (Nietlisbach).

Eine weitere Identifikationshilfe waren jene Zunamen, die häufig die Grenze zu Übernamen streiften und heute vielleicht für manches Ohr nicht ganz salonfähig klingen mögen, der eine oder andere mag oder mochte diese Kategorie, vielleicht gar Zu- und Übernamen allgemein, als Zumutung auffassen, doch waren sie in früheren Zeiten alles andere als bösartig gemeint, hatten kaum etwas wirklich Despektierliches. Einige Beispiele: De Prinz, de Düüsseler, de Chabelchlii, de chlii Leo (dessen Mutter man einfach d‘Frida oder d‘Rasiereri nannte), d‘Chilchleri, d‘Schuemacheri (der aktive Schuhmacher im Dorf, s‘Beernete Arthur hingegen, war de Schueni), de Bröiliker Chäber, de Rosenober, de Baschiddeck, de Zözimeier, de Bazilli, de Babettlimeier, de Möckeler, de Nulleis (Jahrgang 1901), de Notterli (ganz und gar kein li, sondern ein stämmiger Bauer und Turner), oder auch nur de Melk, womit jedermann wusste es ist der Dachdecker Melchior Huber damit gemeint; sein Sohn und Nachfolger im Beruf war s‘Melken Ernscht.

De Melk leitet gleichzeitig über zu einem wichtigen Kriterium für die Bildung der Zunamen in Boswil: Unter den oben aufgelisteten Zunamen müssten eine ganze Reihe mit den Vornamen der männlichen Stämme erweitert werden, um die im Dorf ansässigen Familien jeweils folgender, teils auch noch heutiger Generationen zu identifizieren. So gibt es, um nur einige Beispiele zu nennen, natürlich längst nicht mehr bloss s‘Ättijokebbe, sondern eben s Ättijokebbe Paul, Leo, Walter usw. Bei s‘Sattlers unterschied man mindestens drei Familien, nämlich s Sattler Ottis, s‘Sattler Gopfrede und s‘Sattler Maxe, und ebenso gab es verschiedene Familien von s‘Deckers, s‘Hälme, s‘Mülimachers oder s‘Becke usw, die man alle durch die Kombination mit dem Vornamen des jeweiligen männlichen Familienvorstandes unterschied. Damit ist angetönt, dass in den häufigsten Fällen die Vornamen der Ältesten im jeweils männlichen Stamm die Zunamen ergaben. Also ist s‘Heinibänehanse Armin mindestens die vierte Generation derselben Famile, in der die jeweils ältesten Söhne der Vorgängerfamilien.Heinrich, Benedikt und Johann, oder s‘Jöselhanselonzis eine Familie in mindestens dritter Generation, in der die betreffenden Ältesten im Stamm nacheinander Joseph, Johann und Leonz geheissen hatten. Da es nun aber, um beim letzten Beispiel zu bleiben, irgendwann nur mehr einen einzigen Leonz im Dorf gab, wurde aus s‘Jöselhanselonzis eben bloss mehr s‘Lonzis, s‘Albine usw.

Die allgemein hohe Bedeutung der Vornamen im Beziehungsgeflecht des grossen Dorfes bricht im übrigen auch in den starken, teils variantenreichen Mundartformen durch, denen man oft sogar die Herkunft kaum mehr ansieht: Für Joseph gab es Seepi, Sephi, Seppi, Seppel, Sepp, Jösel, Schösel, letzteres ein Relikt aus der Zeit der französischen Besetzung, das auch in der mehrfach verwandten Form Schang (Jean) für Johann heute noch aufscheint, ebenso in Schül (Jules) für Julius (von dem es auch Juuli gab). Auch alte Zunamen, deren Wurzel man auf Anhieb gar nicht erkennt, gehen auf alte Mundartformen von Vornamen zurück: s‘Beernete (Bernhard), s‘Hälme (Helmuth), s‘Chäschberlis (Kaspar), s‘Bänes (Benedikt), s‘Balze (Balthasar), s‘Vikterligrazze (Viktor Pankraz), s‘Meiröödlis (Meinrad) usw. Häufig eingesetzte
Zuordnungskriterien bildeten auch bestimmte berufliche Tätigkeiten von Vorfahren, wie s‘Seilermuusers ,ein Vorfahre war professioneller Mäusefänger, und noch früher betrieb die gleiche Familie eine Seilerlei, s‘Mülimachers, s‘Deckers, s‘Rächemachers, s‘Sattlers, wohl auch s‘Becke und andere. Identifikationshilfen konnten auch Häusernamen (s’Maiglücke Köbi) oder Flurnamen (s‘Hegi-Puure) sein. Schliesslich hat man in neuerer Zeit gewissermassen in Umkehrung dieser alten Vornamenhegemonie bestimmte Familien in der Alltagssprache dergestalt gekennzeichnet, dass man sie in der Kombination Familienname-Vorname nannte, also s Huebermaartis, Bergerfridels, Hueberbeeters, Bergermaartis, Müllervikters.

Boswil deine Namen, sie versinken nach und nach ins Vergessen. Amtlich hat, was einst Ausdruck des Bemühens um Beziehung zu andern war, heute keine Bedeutung mehr. Adressen haben seit Jahren auch in Boswil anständige Namen. Albern wohl auch, den alten, eindeutigen Bezeichnungen nachtrauern zu wollen, die die Menschen dieses Dorfes nicht allein den Menschen, sondern ebenso den Winkeln zudachten, in denen all die Breitelonzi, Jochume, Ziegler, Hotter, Gländer, Bäne, Schuenegeler zu Hause waren: Apfänt (Advent), Vorstadt, Guuss, s‘Aanthaut, Halde, Söigass, Gländ.

Autor: Ferdinand Notter

 

Sendung Schnabelweid SRF 1, Zunamen in Boswil